Mit Ali Abdollahi Dichter und Übersetzer, Berlin | Max Czollek Dichter, Berlin | Daniela Danz Dichterin, Kranichfeld | Moderation Jan Wagner Dichter, Berlin

Ausstrahlung der aufgezeichneten Buchpremiere vom 1. Dezember 2021.

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„Wetterumschlag. Eher als die anderen haben wir gerufen /
wir ernteten nur Dunkelheit / und die Umbenennung eines Platzes.“

Sprache gehört zu den wenigen Besitztümern, die man in ein anderes Land mitnehmen kann. Ali Abdollahi, Dichter, Übersetzer ins Deutsche, Vermittler zwischen den Kulturen, hat sie aus Iran mit nach Berlin genommen, wo er seit zwei Jahren lebt. Kürzlich erschien in der Reihe Kontinentaldrift der von ihm herausgegebene Band Das Persische Europa (Verlag Das Wunderhorn 2021). Er versammelt Texte von 35 im Exil lebenden DichterInnen.

Nun erscheint Ali Abdollahis erster Gedichtband Wetterumschlag auf Deutsch und Persisch im Secession Verlag – und wir feiern die Premiere mit dem Autor und ÜbersetzerInnen, mit NachdichterInnen und WeggefährtInnen. Die Gedichte von Ali Abdollahi sind wie staunende Erkundungen in seine Lebenswelt, wo Häuser „kleine Inseln der Freiheit / im Ozean der Tyrannei“ sein können. Alles, was ihn umgibt, was ihn berührt, kann zum Gegenstand seiner Lyrik werden. „In einem dieser Häuser / las ich meine besten Bücher“. Dabei zieht er die LeserInnen mit seinen außerordentlich präzisen Beschreibungen in den Bann. Kassiber aus einer zurückgelassenen Welt, Gedichte als „eine Zündschnur nur für die flüsternden Vulkane“.

Jan Wagner spricht mit Ali Abdollahi, Max Czollek und Daniela Danz über die Wetterumschläge beim Schreiben, beim Übersetzen – und beim Ankommen in einem anderen Land.

Poesie wird fortwährend durch Sprache und Körper, durch Produktion und Rezeption hergestellt. In der Pandemie jedoch sind Performances, Lesungen, Konzerte, Diskussionen nicht mehr erlebbar. Besteht nicht die Gefahr, dass die Lyrik aus dem kollektiven Bewusstsein verschwindet, wenn sie nicht gemeinsam gehört, besprochen, unterrichtet, übersetzt und weitergeschrieben wird? Wo kann man heute die Stimme und die Stille der Lyrik hören? Wo gibt es runde Tische, an denen über Mehrsprachigkeit, Musikalität der Sprache und ihre Übersetzbarkeit diskutiert wird?

Performance mit den DichterInnen Yoko Tawada (JPN/DEU) | Marion Poschmann (DEU) | Ursula Krechel (DEU) | Ulf Stolterfoht (DEU) | Jan Wagner (DEU) | Tanz: Yui Kawaguchi (JPN/DEU) | Musik: Aki Takase (JPN/DEU) | Installation: Chiharu Shiota (JPN/DEU)

Wenn kein Austausch mehr stattfindet, verlieren wir allmählich die Vielfalt der Gegenwart und die der Vergangenheit aus dem Blick. Die Toten haben nichts mehr zu sagen, vernachlässigte Ecken der Großstadt stehen versunken im Schatten, traurige Menschen werden ausgesperrt und die fernen Länder rücken weiter in die Ferne. Wir müssen das Abwesende wieder präsent machen. Für die Vergegenwärtigung des Abwesenden, das unserem Leben nicht fehlen kann, brauchen wir die Leibhaftigkeit der Sprache. Wir brauchen Poesie.

Die Künstlerin Chiharu Shiota bat Menschen in unterschiedlichen Ländern, ihre Wünsche auf rote Zettel zu schreiben und nach Berlin zu schicken. Diese Wünsche der Abwesenden befestigte sie an zahlreichen Fäden, die oben und unten die Nähe und die Ferne miteinander verbinden. Die DichterInnen Marion Poschmann, Ursula Krechel, Ulf Stolterfoht, Jan Wagner und Yoko Tawada lesen ihre Texte in dieser Installation, in den Wünschen der Abwesenden. Die Pianistin Aki Takase und die Tänzerin Yui Kawaguchi reagieren auf diese Poesie und interagieren mit ihr, so dass die Kunstformen, die in der Pandemiezeit getrennt sind, wieder zusammenkommen.

Die Aufnahmen zum Film fanden im Atelier von Chiharu Shiota statt, dort, wo Kunst produziert wird, und sie wird von der Produktionsstätte in die Privatsphären des Publikums gesendet.

Performance auf Deutsch.  

Kuration: Yoko Tawada

Projektleitung: Jutta Büchter

Gespräch mit Jan Wagner Dichter und Übersetzer, Berlin | Sarah Howe Dichterin und Lyrikkritikerin, London | Moderation: Christian Metz Literaturwissenschaftler und -kritiker, München

Einführung: Asmus Trautsch Dichter und Leiter der Akademie für Lyrikkritik

Die Gegenwartslyrik ist polyglott: Dichterinnen und Dichter schreiben aus diversen Sprachhintergründen, viele arbeiten mehrsprachig. Internationale Kollaborationen, gerade innerhalb Europas, blühen, was sich auch in gemeinsamen Publikationen wie der Anthologie Grand Tour. Reisen durch die junge Lyrik Europas niederschlägt. Dichtung aus anderen Sprachen wird in großer Zahl übersetzt, rezipiert und ausgezeichnet. Zugleich erweitert sich Poesie medial: Sie wird performativ und in digitalen Formaten, Journalen, Chap-Books oder auf Flyern, T-Shirts und Hauswänden präsentiert.

Wie reagiert die Lyrikkritik auf diese vielsprachig-pluralen und multimedialen Dimensionen der zeitgenössischen Poesie? Muss sie selbst internationaler werden und einem hiesigen Publikum lyrische Aktualität aus anderen Regionen verstärkt nahebringen? Welche neuen lyrikkritischen Formate können die Sache der Dichtung stärker in die Öffentlichkeit tragen, von Tweets bis zu Pecha Kuchas? Wie sieht es überhaupt in anderen Ländern und Sprachräumen mit der Lyrikkritik aus. Und wie können unterschiedliche Szenen der Lyrik und ihrer Kritik, wie die in Großbritannien und die im deutschsprachigen Raum, voneinander lernen?

Über diese Fragen und europäische Perspektiven der Lyrikkritik diskutieren Jan Wagner, Sarah Howe und Christian Metz. Die Online-Diskussion wird gerahmt von ausgewählten Highlights der Pecha Kuchas zur Lyrikkritik aus den ersten zwei Jahren der Akademie für Lyrikkritik.

Die Akademie für Lyrikkritik am Haus für Poesie wird aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds gefördert. Mit freundlicher Unterstützung von Literaturport